Exklusive Leseproben

Mainz-Heft 2/2018

Im Einsatz für Mainzer Baudenkmäler

Exklusiv-Interview mit Erika Friderichs, Leiterin des Mainzer Denkmal-Netzwerks

Von Michael Bonewitz

 

Erika Friderichs, Vorsitzende des Mainzer Denkmal-Netzwerks, wurde 1936 geboren, verbrachte ihre Kindheit in Wilhelmshaven und Marburg. Nach Mainz kam sie 1970. Anfang der 1980er Jahre war sie eine der Mitinitiatoren der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, ist noch immer Mitglied im bundesweiten Kuratorium und leitet seit Anfang an das Ortskuratorium Mainz. 2004 hob sie das Mainzer Denkmal-Netzwerk aus der Taufe. Seitdem kämpft sie für das kulturelle Erbe, gewinnt Mitstreiter und Mäzene, wirbt Spenden ein mit sichtbaren Erfolgen: So konnten Dank der Initiative des Mainzer Denkmal-Netzwerks unter anderem das Haus Zum Römischen Kaiser, die Rheintore und ein Teil des Kurfürstlichen Schlosses saniert werden.

Erika Friderichs, Ihr Name wird sehr eng mit Ihrem Engagement für Mainzer Baudenkmäler verbunden, allen voran mit dem Kurfürstlichen Schloss und den Rheintoren. Was hat denn Ihre Leidenschaft für Denkmäler entfacht?

Mein Mann und ich hatten Anfang der 1980er Jahre den Leininger Hof in der Mainzer Altstadt saniert. Und wenn Sie sich an ein solches Projekt wagen, dann hat das viel mit Leidenschaft und Liebe zu alter Bausubstanz zu tun, Sie setzen sich mit einem solchen alten Gebäude ja ganz anders auseinander als mit einem Neubau. Unser Architekt, der sehr viel Erfahrung mit Fachwerksanierung

hatte, nahm mich damals mit zu den Hessischen Denkmalpflegetagen. Dort lernte ich den Hessischen Landesdenkmalpfleger Prof. Gottfried Kiesow kennen. Er war für die FDP im Wiesbadener Stadtrat, ich für die FDP im Mainzer Stadtrat. Wir hatten also etliche Anknüpfungspunkte neben dem Hauptthema Denkmalpflege. Auf einer Englandreise hatte ich gerade die segensreiche Arbeit des National Trust kennengelernt und meinte, so etwas bräuchten wir doch auch in Deutschland. Er hatte sich schon seit längerer Zeit mit dem gleichen Gedanken getragen und so organisierten wir nach einigen Überlegungen zusammen mit meinem Mann schließlich eine Runde mit Vertretern aus den Bereichen Kultur, Denkmalpflege und Wirtschaft in unserem frisch sanierten Leininger Hof. Das war die Keimzelle der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die offizielle Gründung erfolgte 1985.

Und wie kam es dann zur Ihrer Initiative Mainzer Denkmal-Netzwerk? 

2004 erschienen in der AZ immer wieder Artikel, die den schlechten Zustand etlicher unserer Mainzer Denkmäler beklagten, Denkmäler im Eigentum der Stadt. Ich habe den Autor Bernd Funke schließlich angerufen und mit ihm über die Problematik gesprochen. Das Ergebnis war ein Artikel von ihm mit der Überschrift: „Eine Lobby für die bröckelnden Bauten. Erika Friderichs will Hilfsaktion starten. Dalberger Hof ist erstes Projekt“. Ganz ehrlich, als ich den Artikel sah, habe ich einen Schreck bekommen und es hat mich schon einige schlaflose Nächte gekostet, bis dann alles strukturiert war und wir den Namen gefunden hatten. Sehr hilfreich war, dass sich aufgrund der Berichterstattung in der AZ eine junge Grafikerin, Iris Leonhardt, meldete, die unter anderem unser Logo gestaltete. Sie setzte ein Ausrufezeichen zwischen „Denk“ und „mal“, eine Aufforderung an die Mainzer, darüber nachzudenken, „was wäre unser Mainz ohne seine gebaute Geschichte, ohne diese Zeitzeugen aus Stein?“ 

 

Was war das erste Projekt des Mainzer Denkmal-Netzwerks?

Der Jüngere Dalberger Hof sollte unser erstes Projekt sein. Damals war er in einem sehr schlechten Zustand. Das Gebäude wurde dann allerdings an einen Investor verkauft, der dort ein Projekt mit herrschaftlichen Wohnungen realisiert hat. So wurde der Römische Kaiser, der Verwaltungssitz des Gutenberg-Museums, unser erstes Projekt. Sie erinnern sich vielleicht, dass der gesamte Ostgiebel damals abmontiert werden musste, weil er herunterzufallen drohte. Das war schon ein deutliches Alarmzeichen. Mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem mit einem Vortrag von Professor Dethard von Winterfeld und Brigitte Goebel „Geschichte und Geschichten rund um den Römischen Kaiser“ und verschiedenen Aktionen, auch beim Johannisfest, konnten wir die Bedeutung dieses Bauwerks und seinen schlechten Zustand ins Bewusstsein vieler Menschen rücken und auf diese Weise Spenden für eine Anschubfinanzierung sammeln. Es waren keine Riesensummen, aber es war wichtig, dass man das Projekt im Gespräch hielt und die Leute wussten, da passiert etwas. Auch mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wurde dann die bedeutende Renaissancefassade schließlich in drei Abschnitten saniert.

 

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Mainz-Heft 2/2017

Zeitzeuge - Mäzen - Vordenker

Exklusiv-Interview mit dem ehemaligen Bankier Wolfgang Strutz

Von Michael Bonewitz

 

Er ist in Frankenthal geboren, kam als Kind nach Mainz, wurde später Bankier in Frankfurt, fühlt sich aber zu 100 Prozent als Mainzer. Wolfgang Strutz, 1933 geboren, hat sich in Mainz als hoch geschätzter Mäzen, der gerne im Hintergrund wirkt, längst einen Namen gemacht und hat auf vielen Feldern Spuren hinterlassen. Sein Weg führte ihn von der Commerzbank in Mainz zur BHF Bank nach Frankfurt, er wurde Präsident der Senckenberg Gesellschaft und sammelt als bekennender Protestant nun schon seit über zehn Jahren mehr als eine Million euro für den erhalt des Mainzer Doms. Wolfgang Strutz ist ein wichtiger Zeitzeuge Mainzer Geschichte und macht sich für die seiner Meinung nach fünf wichtigsten Werte der Stadt stark: den Dom, den Rhein, die Fastnacht, Mainz 05 und Johannes Gutenberg. 

Sie sind 83 Jahre alt, wie geht es Ihnen, Herr Strutz?

Ich denke, für mein Alter ganz gut, ich komme gerade vom Golfplatz in St. Johann.  

 

Es gibt nicht wenige, die sagen, dass es diesen Golfplatz ohne Sie gar nicht gäbe?

Ich hoffe, es klingt nicht zu vermessen, wenn ich Ihnen zustimme. Ich habe tatsächlich den Golfclub Rheinhessen mit initiiert und über meine Bank finanziert.

 

Was reizt Sie am Golfen?

Es ist ein toller Sport, man ist an der frischen Luft, bewegt sich und lernt interessante Menschen kennen. So haben wir in St. Johann zurzeit einen unglaublich begabten jungen Mann. Max Schmitt heißt er, 19 Jahre alt, er ist derzeit der beste deutsche Amateur mit einem Handicap von Plus 6,7 – das ist fantastisch. Ab und an dürfen wir Älteren, die die besondere Förderung der sehr begabten Jugendlichen in unserem Club finanzieren, mit diesen Spielerinnen und Spielern eine Runde drehen. Das macht besonderen Spaß.

 

Wie kamen Sie denn zum Golfsport und wie alt waren Sie da?

Ich war Ende 40. Zum Spielen kam ich über meinen Bruder Manfred, der damals für Boehringer Ingelheim in Südamerika arbeitete. Bei einem gemeinsamen Urlaub in Kolumbien habe ich das erste Mal auf einem Golfplatz gestanden, es war ein privater Club. Mein Bruder drückte mir einen Schläger in die Hand und dann legten wir los. Bis zu diesem Zeitpunkt war Golf für mich allenfalls als Golf von Biskaya ein Begriff. Ich wusste gar nichts über diesen Sport und zur damaligen Zeit hatte es auch noch keinerlei Fernsehübertragungen über Golf gegeben. Prompt habe ich den Schläger falsch herum gehalten, weil ich früher einmal Hockey gespielt hatte. Naja, die ersten drei Schläge gingen in die Luft, da habe ich den Ball noch nicht mal getroffen und die nächsten drei gingen ins Gras, sodass riesige Rasenstücke durch die Gegend flogen. Aber dann ging es immer besser.

 

Bevor wir uns im Golfsport verlieren, lassen Sie uns ein wenig in Ihrem Leben zurückschauen. Geboren sind Sie ja gar nicht in Mainz, sondern in Frankenthal, also sind Sie Pfälzer?

Ich fühle mich ehrlich gesagt nicht als Pfälzer, denn ich habe nur knapp vier Jahre dort gelebt. Meine Eltern kommen beide aus Stettin. Mein Vater war als junger Mann bei der Pommerschen Saatzucht beschäftigt. Das war noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurde er nach Frankenthal versetzt. Vier Jahre später wurde mein Vater von seiner Firma damit beauftragt, in Mainz eine Filiale aufzubauen, die bald viel bedeutender wurde als Frankenthal. Ansässig war das unternehmen in der Mombacher Straße. Ende 1937 zogen wir dorthin und mein Bruder Manfred wurde am Rosenmontag 1938 in Mainz geboren.

 

Nur ein Jahr später begann der Zweite Weltkrieg, wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Rückblickend betrachtet habe ich eigentlich alles erlebt. Krieg und Frieden. Diktatur und Demokratie. Zerstörung und Wiederaufbau. und bei allem Schrecklichen, was da passiert ist, haben sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch wieder tolle Chancen für junge Menschen ergeben. Aber Ihre Frage zielt ja auf meine ersten Jahre in Mainz: unmittelbar vor dem Ende des Dritten Reichs war ich noch ein halbes Jahr bei der Hitlerjugend. Ich erinnere mich, dass ich bei meiner einzigen möglichen Beförderung damals  nicht berücksichtigt wurde. Also bin ich nach dem Appell zum Fähnleinführer gegangen und habe ihn nach den Gründen befragt, warum ich nicht befördert wurde. und da hat er mir zu mir gesagt: Genau deswegen. Nach dem Motto: Sie stellen zu viele Fragen. 

Wo haben Sie gewohnt?

Anfangs noch am Bismarckplatz, später in der Mombacher Straße. Ich erinnere mich noch an den Tabakladen am Bismarckplatz, dort hatte mein Vater immer seine Zigarren gekauft. Die Besitzerin war Jüdin. In der Pogromnacht haben die Nazis unter anderem das Radiogerät des Tabakladen aus dem Fenster geworfen. Ich hatte damals den tieferen Sinn nicht verstanden, fragte deshalb meinen Vater: „Wenn man es den Leuten wegnimmt, warum macht man es kaputt und gibt es nicht armen Leuten, die sich kein Radio leisten können?“ So haben wir Kinder auf diese Welt geschaut. 

Es war auch ein Leben mit der Angst, denn die Bedrohung war gerade während des Krieges für jeden spürbar …

Und es gehörte bei allem auch viel Glück dazu. Wenige Wochen vor dem Ende des Krieges ging meine Mutter mit ihren beiden Söhnen, also mit meinem Bruder Manfred und mir, über die Mombacher und es kam ein Tiefflieger vom Mombacher Tor auf uns zu und schoss mit seinem Maschinengewehr auf uns. Ich sehe dieses Bild und das Gesicht des Piloten, soweit man das bei der Pilotenbrille erkennen konnte, noch heute vor mir. Meine Mutter hat sich instinktiv mit uns flach auf den Boden geworfen und wie Sie sehen, hat er uns nicht getroffen. Was mir später zu denken gab. Jedenfalls hat er am Bahnhof noch mal gewendet, kam wieder zurück und ließ wieder seine Maschinengewehrsalve los. Ich sage heute, er kann uns gar nicht verfehlt haben. Es war sonst niemand weit und breit zu sehen. Besser kann man ein Ziel nicht anvisieren. Deswegen bin ich heute davon überzeugt, er wollte uns – also eine Mutter mit ihren beiden Kindern – gar nicht treffen. Aber solche Momente der Todesangst gab es viele.

 

Hatte man sich damit abgefunden?

Man hat sich arrangiert, damit leben gelernt. Mein Vater hatte als Geschäftsführer der Pommerschen Saatzucht wichtige volkswirtschaftliche Aufgaben. Er war zwar zum Militär eingezogen, aber deshalb in Mainz stationiert. So konnte er den Betrieb quasi nach Feierabend beim Militär führen. Für die  Abwicklung der Kartoffel-Saison im  Frühjahr bzw. Herbst standen uns Kriegsgefangene zur Verfügung, die bei vielen unternehmen in Mainz eingesetzt worden waren. Für mich war dieser Teil des Krieges hochinteressant, da ich aufgrund meines engen Kontakts zu den Kriegsgefangenen von manchen Russen viel gelernt habe, insbesondere Toleranz und Achtung gegenüber dem „Feind“. Damit wurden Zweifel an der offiziellen Kriegspropaganda bei mir geweckt. 

Wie haben Sie die Bombardierung der Stadt miterlebt?  

In der Mombacher Straße schlugen bei uns schon 1942 Brandbomben ein. Damals war ich, wenn man das bei so einem Knaben überhaupt sagen kann, fast der einzige Mann im Haus. Als mein Vater einmal nicht da war, musste ich das Kommando übernehmen. Gemeinsam mit ein paar tüchtigen Russen haben wir mit wenig Wasser, ein bisschen Sand und ein paar feuchten Kartoffelsäcken dafür gesorgt, dass das Feuer der Brandbomben von den Baracken nicht auf unser Kartoffellager überspringt. 

 

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Mainz-Heft 1/2017

„Schnell und flexibel auf Veränderungen reagieren – das ist unsere Chance“

Der Vorstandsvorsitzende der Schott AG, Dr. Frank Heinricht,     im Interview

Von Michael Bonewitz

 

Als Frank Heinricht 2013 den Vorstandsvorsitz der SCHOTT AG übernahm, steckte das Unternehmen noch mitten in einer Krise. Vor allem der Ausstieg aus dem Solargeschäft hatte dem Spezialglasunternehmen schwer zu schaffen gemacht. Heinricht hielt sich mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten zurück und brachte das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur. Der Umsatz nähert sich inzwischen der zwei Milliarden Marke, die Profitabilität wurde kontinuierlich gesteigert, der Konzernjahresüberschuss erreichte im Geschäftsjahr 2016 139 Millionen Euro, ein Plus von 47 Prozent. Fast die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet SCHOTT in Europa, jeweils rund ein Viertel in Nord- und Südamerika sowie in Asien. Mit einem Umsatzplus von knapp 8 Prozent ist SCHOTT in Asien besonders erfolgreich. Die Zahl der Beschäftigten blieb weltweit unverändert bei 15.000 Mitarbeiter, davon 2.500 in Mainz. Im Interview mit dem Chefredakteur der Mainz-Hefte, Michael Bonewitz, äußert sich Frank Heinricht unter anderem zum Standort Mainz, zur politischen Weltlage und wie sich das Unternehmen SCHOTT auf eine komplexer werdende Welt einstellt. 

Michael Bonewitz: Herr Heinricht, Sie sind in Berlin geboren, damals noch in der geteilten Stadt. Wo genau sind Sie groß geworden und wie haben Sie die Zeit empfunden?

Ich komme aus dem Westteil der Stadt, aus Mariendorf im Süden, Tempelhof. Rückblickend war es eine tolle Zeit. Gerade diese Insellage Berlins, das war schon was Einzigartiges, vor allem hat Berlin sehr viele Grünflächen. Hin und wieder empfand ich die Stadt auch ein bisschen beklemmend, wenn sie bei Radtouren plötzlich an eine Mauer stoßen. Aber trotz der negativen Begleitumstände war es in der Summe eine schöne Zeit.

 

Michael Bonewitz: War es die Insellage, weshalb Sie Berlin verlassen haben?

Naja, das war kurz nach dem Mauerfall. Ehrlich gesagt: Berlin war in dieser Zeit nicht wirklich schön, die ganze Stadt war extrem im Umbruch. Genau in dieser Phase habe ich ein Angebot für eine Stelle in Heilbronn bekommen, im Bereich der Halbleiter-Elektronik. Das war für mich eine tolle Chance. Technik hat mich schon immer fasziniert.

 

Michael Bonewitz: Sie gelten als großer Technikfan.

Das stimmt, schon als Kind habe ich gerne gebastelt. Manches war durchaus nicht ganz so ungefährlich, wenn ich da an einige Experimente zurückdenke.

 

Michael Bonewitz: Das klingt nach Chemie-Baukasten …

Oh ja, aber ich habe auch mit Strom experimentiert. Als Kind hatte ich mal die Idee, den Strom für das ganze Haus über eine Schnur auszuschalten. Das hatte ich dadurch gelöst, dass ich einfach einen Kurzschluss ausgelöst habe. Da sind dann alle Sicherungen rausgeflogen. Aber Sie sehen, ich habe die Experimente meiner Kindheit überlebt. Geblieben ist die Leidenschaft für Naturwissenschaft und Technik, das hat sich in der Schule fortgesetzt und mich dann ins Physikstudium geführt. Mit großer Begeisterung übrigens, aber mir wurde auch schnell klar, dass ich nicht mein Leben lang irgendetwas basteln möchte. Mich haben schon immer die Menschen sehr interessiert, die Teamarbeit. Ich habe schon recht früh eine Führungsverantwortung in einem technischen Bereich angestrebt, das war mein Traum.

Michael Bonewitz: Und Sie haben diesen Traum mit sehr viel Eifer recht schnell erfüllt ...

Naja, so direkt läuft das nicht. Man braucht immer Momente des Zufalls und des Glücks, die dann zu Weichenstellungen führen können, sodass ich Ihnen heute als Vorstandsvorsitzender der SCHOTT AG gegenübersitzen kann.

 

Michael Bonewitz: Hatten Sie denn jemals einen Plan B, jenseits der Technik?

 Nein, wobei ich ehrlich sein will: Ich hatte noch nicht mal einen Plan A. Ich habe beruflich eigentlich immer nur das getan, was mir Spaß gemacht, was mich interessiert hat. Auch wenn mir klar war, dass ich mich auf einem Feld bewege, das prinzipiell ausreichend ist, um auch mal eine Familie zu ernähren. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Erst im Nachhinein habe ich übrigens erkannt – also 20 Jahre später –, dass mich der medizinische Bereich interessiert hätte. Aber das sind so Dinge, die stellt man dann manchmal so spät im Laufe seines Berufslebens fest, dass es nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann.

 

Michael Bonewitz: Wie kamen Sie auf das Thema Medizin?

Das, was ich heute mache, ist doch relativ abstrakt, da lässt sich manches in Zahlen messen oder auch an Rückmeldungen von Kollegen. Im medizinischen Bereich ist dieses Feedback unmittelbarer. Die Rückkopplung etwa von Patienten. Stellen Sie sich vor, da haben sie jemanden operiert und es geht ihm wieder besser. Das muss doch eine tolle Empfindung sein. Und auch das Sujet der Medizin gefällt mir, denn es hat im gewissen Sinne mit Technik zu tun, man muss Zusammenhänge verstehen, man muss detektivischen Spürsinn haben. Sie sehen, Medizin könnte durchaus auch für mich eine Leidenschaft sein.

 

Michael Bonewitz: Kümmern Sie sich bei SCHOTT daher besonders um ihre pharmazeutischen Verpackungen?

Das nicht wirklich, denn hier geht es primär um die Verpackung von Wirkstoffen, da müsste ich mich schon sehr verknoten, um hier mein medizinisches Wunschbetätigungsfeld wiederzufinden. Aber wir haben bei SCHOTT durchaus  Produkte für die Medizintechnik, da ist man schon dichter am Menschen dran. Nehmen Sie das Thema Glasfaser und Endoskope oder Gläser für analytische Geräte, um Stoffe zu analysieren und Krankheiten zu erkennen, das passt schon eher.

 

Michael Bonewitz: Als Physiker haben Sie angefangen, heute sind Sie verantwortlich für ein Unternehmen mit 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weltweit. Wie bereitet man sich auf eine solche Herausforderung vor?

Das kommt zum Glück nicht von heute auf morgen, es geht über mehrere Stationen, die man beruflich durchläuft und auch durchlaufen sollte. Ich war Projektleiter in der Entwicklung, Produktionsleiter, später ein „Business Unit“-Leiter – da wächst man durchaus mit seinen Aufgaben. Aber es gehört auch eine große Portion Glück dazu. Ich will nicht theatralisch wirken, aber wenn ich da so zurückschaue, dann würde ich sagen: Es gab in meinem Leben ganz besondere Weichenstellungen und da war es entscheidend, ob man rechts oder links abbiegt. Auch wenn man nie weiß, wohin der Weg jeweils führt.

 

Michael Bonewitz: Was waren die entscheidenden Weichenstellungen für Sie?

Das fängt im Grunde in der Schule an. Bei mir war es der richtige Lehrer, der mich extrem motiviert hat. Das konnte ich zwar nicht beeinflussen, aber es hat mir einen unglaublichen Schub gegeben. Später dann an der Uni. Da hatte ich die Chance, eine Professorenlaufbahn einzuschlagen. Oder – alternativ – in die Industrie zu gehen. Ich entschied mich für das Halbleiterunternehmen, das damals noch zur AEG gehörte. Das sind so Momente, die für den   teren beruflichen Werdegang entscheidend sind. Aber es gehört auch Glück dazu, dass sich das alles so gut entwickelt hat.

 

Michael Bonewitz: Sie messen dem Glück eine besondere Bedeutung zu?

Absolut. Ich sage sehr gerne unseren jungen Führungskräften, dass ich es mir nicht vorstellen kann, dass man seine ganze Laufbahn planen und strategisch einfädeln kann. Im wirklichen Leben gehört einfach Fortune dazu, weil es nun mal auch viele andere gute und fähige Menschen gibt, die sich vielleicht bei einer entscheidenden Weichenstellung für eine andere Richtung entscheiden. Und man kann ja auch mit der anderen Entscheidung am Ende sehr glücklich sein. Sich für einen Weg zu entscheiden, ist ja noch kein Qualitätsmerkmal.

 

Michael Bonewitz: Nun stehen Sie an der Spitze der SCHOTT AG. Die Technik rückt vermutlich eher in den Hintergrund, dafür spielt wohl die Kommunikation eine größere Rolle?

Kommunikation ist mittlerweile ein Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Dabei spielen moderne Medien eine immer größere Rolle. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Alle zwei, drei Monate verbinden wir uns über ein Livestreaming online mit rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weltweit, wir nennen das „SCHOTT Insight“. Das machen wir von Mainz aus um die Mittagszeit, weil wir dann, trotz Zeitverschiebung, auch an unseren Standorten in Asien und Amerika die Mitarbeiter erreichen. Da sprechen wir ganz offen über Strategien, über Geschäftsentwicklungen, aber auch über kulturelle Entwicklungen des Unternehmens. Bei der letzten „SCHOTT insight“ hatte ich zusammen mit meinen drei Vorstandskollegen eine offene Frage und -Antworte-Stunde. Da konnte auch jeder vorab oder auch online Fragen schicken, man konnte sie live stellen, wir kommunizieren und chatten miteinander. Wir haben Videokonferenzen, nutzen unser Intranet und veranstalten natürlich auch Jahresmanagementkonferenzen, da gibt es ein ganzes Bündel von Kommunikationsmaßnahmen, die wir einsetzen.

 

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Mainz-Heft 1/2016

Tatort Rechtsmedizin: Auf der Suche nach der Wahrheit

Interview mit Professor Reinhard Urban, Leiter der Mainzer Rechtsmedizin

Von Michael Bonewitz und Michael Sowada

 

Professor Dr. Dr. Reinhard Urban wurde 1949 in München geboren. Dort studierte er Chemie und Medizin. Nachdem er in beiden Fächern promoviert hatte, zog es ihn nach Hannover, wo er sich als Professor der Rechtsmedizin habilitierte. 1991 verschlug es ihn nach Mainz. Hier leitet Urban das Institut für Rechtsmedizin. Von 2001 bis 2013 war er zudem für die Mainzer Universitätsmedizin tätig: bis 2009 als Dekan, danach als Wissenschaftlicher Vorstand. Seit 2003 richtet Urban das rechtsmedizinische Seminar an der Johannes Gutenberg-Universität aus. In seiner Freizeit engagiert sich der bekennende Fastnachts-Anhänger neben seiner Mitgliedschaft in der Mainzer Prinzengarde und im KCK im Vorstand des MCV und der neu gegründeten Fastnachts-Genossenschaft, die er auch als Vorstandsvorsitzender vertritt.

Michael Bonewitz: Wie reagieren die Menschen darauf, wenn Sie erzählen, dass Sie Rechtsmediziner sind?

Mittlerweile sehr positiv. Es gibt ein großes Interesse an unserem Beruf. Wenn ich genügend Budget hätte, könnte ich jeden Monat einen neuen Mitarbeiter einstellen. Viele bewerben sich ganz spontan, weil sie den Beruf so spannend finden.

 

Michael Bonewitz: War das früheranders?

In jedem Fall. Ich habe früher nie erzählt, was ich beruflich mache. Wenn ich gefragt

wurde, habe ich es umschrieben: So etwas ähnliches wie Pathologie. Da haben die meisten dann immer etwas komisch geschaut. So nach dem Motto: Das ist ja ziemlich langweilig, mit diesen vielen Toten. Heute ist das komplett anders. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich auf  einmal viele Leute um einen herum versammeln, wenn man darüber spricht. Die Rechtsmedizin ist heute so populär wie nie zuvor.

 

Michael Sowada: Spielt das Fernsehen dabei eine Rolle?

Natürlich. Durch diese ganzen Krimiserien hat sich unser Image sehr gewandelt. Und zwar durchweg positiv – die Akzeptanz für den Beruf ist spürbar angestiegen.

 

Michael Sowada: Wie realistisch sind diese TV-Serien eigentlich für Sie als Fachmann?

Ich muss gestehen, ich schaue Krimis nicht ganz so häufig, da ich das alles aus meinem Arbeitsalltag kenne. Was mir allerdings aufgefallen ist, dass es in der Regel drei Kategorien gibt. Manchen Krimireihen merkt man an, dass die Produzenten viel recherchiert und sich Tipps von Fachleuten geholt haben. Dann gibt es die Unrealistischen. Da wurde offenbar auf Beratung komplett verzichtet. Und es gibt die dritte Kategorie: Dort ist zwar vieles realistisch dargestellt, allerdings nur nach US-amerikanischen und britischen Standards. In diesen Ländern ist der Rechtsmediziner nämlich Polizeibeamter. Das heißt, sie untersuchen und ermitteln gleichzeitig. Ich ermittele nie, ich frage nie einen Zeugen. Das ist nicht meine Aufgabe. In Deutschland haben wir ein anderes System, daher lassen sich die Inhalte dieser Fernsehsendungen nicht in jedem Fall auf unser Land übertragen. Bei uns ist der Rechtsmediziner ausschließlich Wissenschaftler, Hochschullehrer und Sachverständiger.

 

Michael Bonewitz: Gehen Sie denn an den Tatort eines Verbrechens?

Wenn mich die Polizei ruft, mache ich das selbstverständlich. Ich schaue mir dann alles sorgfältig an und erkläre der Polizei, was sich anhand der Spuren vor Ort über die Geschehnisse sagen lässt. Ist eine Gewalteinwirkung erkennbar? Handelt es sich um Fremd- oder Eigenverschulden?

So läuft das in der Regel ja auch im Fernsehen ab. Das ist durchaus realistisch. Es ist allerdings Unsinn, wenn ein Rechtsmediziner zum Tatort kommt, das Leichentuch hochhebt und sagt: Todeszeitpunkt: 12.30 Uhr, Todesursache: ein Pistolenschuss von der linken Seite. Ohne Untersuchungen lassen sich darüber keine Angaben machen. Vom Hinschauen alleine kann ich das nicht sagen.

 

Michael Sowada: Kommen denn auch Filmemacher zu Ihnen?

Ja, regelmäßig. In unserem Institut werden immer wieder Szenen für die Serie „Der Staatsanwalt“ im ZDF gedreht. Im Vorfeld werde ich häufig gefragt, was ich von der und der Filmidee halte und ob das Drehbuch aus medizinischer Sicht Sinn macht. Ich stehe dann beratend zur Seite und gebe Tipps, was man machen kann oder vielleicht auch lassen sollte. Und das wird von den Machern der Serie gerne angenommen.

 

Michael Sowada: Gibt es einen Rechtsmediziner im TV, der Ihnen besonders gefällt?

Ich mag auf jeden Fall den Professor Boerne aus dem Münsteraner Tatort. Zum einen trägt er, so wie ich, immer eine Fliege – das ist schon mal sehr vernünftig (lacht). Zum anderen ist diese Reihe sehr gut recherchiert. Was dort geschieht, hat Hand und Fuß.

 

Michael Bonewitz: Tragen Sie die Fliege eigentlich nur aus modischen Gründen?

Also es gefällt mir schon und ich finde auch, dass sie mir steht. Aber ich bin bei weitem nicht der einzige Rechtsmediziner, der eine Fliege trägt. Und das hat einen bestimmten Grund. Wenn ich im Büro sitze, trage ich meistens einen Anzug. Wenn ich dann zu einer Fallbesprechung in den Sektionssaal gerufen werde, gehe ich so wie ich bin schnell nach unten. Und wenn ich mich über eine Leiche beuge, dann würde ein Schlips nur stören – daher die Fliege.

 

Michael Sowada: Gibt es Parallelen zwischen Ihnen und Boerne?

Also wenn ich eine kleinwüchsige Assistentin hätte, würde ich sie vielleicht auch Alberich nennen (lacht) – so wie in der Richard Wagner-Oper „Der Ring der Nibelungen“. Das einzige, was mich von Boerne unterscheidet, ist sein Verhältnis zu Kriminalhauptkommissar Thiel. Als Rechtsmediziner bin ich deutlich freundlicher zu Polizeibeamten. Mit manchen arbeite ich schon sehr lange zusammen.

 

Michael Bonewitz: Auch die Pathologie dürfte den meisten TV-Zuschauern mittlerweile ein Begriff sein. Was ist der Unterschied zwischen einem Rechtsmediziner und einem Pathologen?

Die Pathologie beschäftigt sich auch mit auf natürliche Weise Verstorbenen, aber sie beschäftigt sich vor allem auch mit kleinen Organteilchen von Lebenden. In diesem Bereich wird wenig bis gar nicht obduziert. Das Forschen an den Organen, auch nach Krankheiten, steht im Mittelpunkt der Pathologie. Dabei geht es auch um mögliche Therapieoptionen. Es gibt ja Tumore, die nur auf ganz bestimmte Behandlungsmethoden anspringen. Da kommt es dann darauf an, den exakten Typus des Tumors festzustellen. Die Rechtsmedizin befasst sich dagegen in erster Linie mit nicht geklärten und mit nicht natürlichen Todesfällen. Noch viel häufiger allerdings beschäftigen wir uns mit Lebenden und deren Verletzungen – und zwar im Hinblick auf die Rekonstruktion eines Vorfalls und mögliche juristische Konsequenzen. So könnten Juristen fragen, wie gefährlich der Angriff auf eine Person war. Die Schwere der Tat entscheidet dann auch über das Strafmaß. Es geht mitunter auch um die Frage: Wurden die Verletzungen selbst beigebracht oder von einer fremden Person zugefügt. Es geht um die Identifizierung einer möglichen Straftat – also die Rekonstruktion von Vorfällen, vom Verkehrsunfall bis zum Sexualdelikt, nicht zuletzt aber auch um äußere Beeinflussungen, z. B. durch Alkohol, Medikamente oder illegale Drogen.

 

Michael Bonewitz: Sie beschäftigen sich also nicht nur mit Leichen?

Nein, im Gegenteil. Ich habe viel mehr mit Lebenden als mit Toten zu tun. Wir haben im Jahr etwa 550 Obduktionen – im Schnitt zwei pro Arbeitstag – aber wir haben zwischen 3.000 bis 4.000 Untersuchungen oder Begutachtungen von lebenden Personen.

 

Michael Sowada: Wann wird eigentlich obduziert?

Zum einen, wenn man nicht weiß, unter welchen Umständen jemand verstorben ist. Also dann, wenn eine Straftat dahinter stehen könnte. Liegt jemand tot auf der Straße, geht es darum herauszufinden, was ihn umgebracht hat. Ein Herzanfall? Ein Gewaltakt? Ein Verkehrsunfall? Zum anderen werden grundsätzlich alle Personen obduziert, die im Rahmen einer staatlichen Maßnahme verstorben sind. Also beispielsweise Gefängnisinsassen. Da muss dann zweifelsfrei bewiesen werden, dass derjenige eines natürlichen Todes gestorben ist. Auch Politiker und Angehörige von Personen des öffentlichen Lebens werden aus Sicherheitsgründen obduziert, so wie der Ehemann einer Richterin beispielsweise. Und natürlich werden alle obduziert, bei denen bereits feststeht, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden sind.

 

Michael Sowada: Was gilt es dabei zu beachten?

Das Wichtigste ist es, unvoreingenommen zu sein. Ich kenne zwar die grundlegenden Fakten, aber bilde mir kein Urteil, bevor ich mich nicht ausgiebig mit dem Fall befasst habe.

 

 

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Mainz-Heft 2/2015

Dr. House lässt grüßen

Ateliergespräch mit Prof. Dr. Babette Simon, Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Mainz

Von Michael Bonewitz 

Seit 1. April 2014 ist Professor Dr. Babette Simon die hauptamtliche Vorstandsvorsitzende und zugleich der Medizinische Vorstand der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Internistin und Gastroenterologin war zuvor Präsidentin der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Babette Simon ist eine anerkannte Medizinerin und Wissenschaftsmanagerin, sie hat Erfahrung in der Leitung großer wissenschaftlicher Organisationen und gilt als bestens vernetzt. Seit gut einem Jahr leitet sie die Universitätsmedizin und übt zugleich den Spagat zwischen medizinischem Qualitätsanspruch und wirtschaftlichen Herausforderungen. Mit ihr soll die Universitätsmedizin Mainz in die Spitzengruppe

der bundesdeutschen Hochschulmedizin geführt werden. Im Ateliergespräch stellt sie sich den

Fragen von Dorél Dobocan, Christian Pfarr und Michael Bonewitz.

Michael Bonewitz: Frau Professor Dr. Simon, warum haben Sie Medizin studiert, gab es bei Ihnen eine familiäre Vorprägung?

Ärztin zu sein, ist ein toller, ein großartiger Beruf. Und ja, meine Eltern sind beide Mediziner, meine Mutter ist Allgemeinmedizinerin, mein Vater war Chirurg. Ich kenne also die Situation eines Niedergelassenen, aber auch die eines Klinikers von Kindheit an, zumal wir viele Jahre direkt neben der Klinik meines Vaters gewohnt haben. Vielleicht gab es dadurch eine frühe Prägung.


Dorél Dobocan: Aber Sie haben Ihren Traumberuf verlassen?

Nicht wirklich, denn eine Managementfunktion in einer Universitätsklinik heißt für mich nicht, den Beruf zu verlassen. Im Gegenteil. Es eröffnet die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen in der gesamten Klinik mit allen Akteuren zu gestalten.


Christian Pfarr: Könnten Sie denn heute noch medizinisch-therapeutisch arbeiten?

Ich könnte, aber ich habe mich vor etwa zehn Jahren für einen anderen Weg entschieden. Allerdings glaube ich, dass meine langjährige Klinikerfahrung in meiner jetzigen Managementfunktion Vorteile bringt.


Dorél Dobocan: Fehlen Ihnen nicht die Patienten?

Als Medizinischer Vorstand habe ich sehr viele Kontakte zu Ärzten, Pflegepersonal, zu Stationen oder Notdienststellen. Natürlich ist es etwas anderes als der direkte und intensive Kontakt mit Patienten. Aber es ist auch eine großartige Aufgabe, Rahmenbedingungen zur bestmöglichen

Versorgung der Patienten in einer Universitätsklinik zu gestalten. Der Patient ist schlussendlich für uns alle der Mittelpunkt. Ihn vor Krankheiten zu bewahren, gute Diagnosen zu stellen, ihn gut zu behandeln, das ist unsere Aufgabe, von uns allen.

Michael Bonewitz: Zumindest in Mainz sind Sie die erste Frau an der Spitze der Universitätsmedizin, warum sind Frauen in der Medizin so selten in Führungspositionen?

Wenn ich die Situation in der Niederlassung anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass die Ärztinnen dort schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich tätig sind. Aber Sie haben Recht, in

Kliniken, und im Besonderen an Universitätskliniken gibt es noch sehr wenig Chefärztinnen.

 

Michael Bonewitz: Sind Sie für die Frauenquote?

Es gab eine Zeit, da war ich der Annahme, dass eine Frauenquote nicht notwendig sei, heute bin ich für eine Quote, aber auch für Männer, etwa in Kitas, in Grundschulen. Ich glaube, dass durch Einbeziehung verschiedener Perspektiven ein qualitativer Mehrgewinn zu erzielen ist, da man Aufgaben anders löst anders entscheidet, miteinander anders Verantwortung übernimmt. Auch fehlen Rollenmodelle zur Orientierung für die jüngere Generation. Nach dem nun alle bisherigen

Anstrengungen weniger erfolgreich waren, halte ich eine Quote aktuell für ein Instrument, das man vorübergehend einsetzen muss.

 

Dorél Dobocan: Vorübergehend?

Man muss ganz offensichtlich nachhelfen, unterstützen. Aber in absehbarer Zeit, da bin ich sicher, wird sich das von selbst einstellen.

 

Christian Pfarr: Wie gehen Sie mit der Verantwortung, mit der Macht um, wollen Sie etwas bewirken, oder ist es mehr administrativ, was Sie leisten oder folgen Sie einer

Vision?

Wir tragen als vierköpfiger Vorstand mit mir als Vorstandsvorsitzende gemeinsam Verantwortung. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir zusammen überlegen, wie die Universitätsmedizin in fünf oder in zehn Jahren aussehen soll, wo sie dann stehen soll. Jeder bringt aus seinem Ressort seine Vorstellungen, sein Wissen, seine Überlegungen, seine Erfahrungen ein. Ohne Zielsetzung, das ist meine Überzeugung, können Sie eine solch große und komplexe Organisation nicht führen.

 

Christian Pfarr: Was ist Ihre Zielsetzung?

Wir wollen die Universitätsmedizin Mainz unter den Top 5 Unikliniken in Deutschland platzieren.

Michael Bonewitz: Wo stehen Sie heute?

Das ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Betrachtungsweisen: Sie können sich am wissenschaftlichen Erfolg messen lassen, an der spitzenmedizinischen Krankenversorgung, am Erfolg in der Lehre oder der Aus-und Weiterbildung. Ein Aspekt kann auch die erfolgreiche Kooperation in einem regionalen Netzwerk

mit anderen Einrichtungen sein. So gibt es zum Beispiel enge Verbindungen nach Frankfurt zur dortigen Universitätsmedizin.

 

Christian Pfarr: Warum ist eine Universitätsmedizin wichtig?

Die Universitätsmedizin verbindet auf einzigartige Weise Krankenversorgung, Forschung und Lehre. Sie ist als Krankenhaus der Hochleistungsmedizin unverzichtbar. Darüber hinaus führt die

Forschung zu unzähligen Innovationen und damit zum medizinischen Fortschritt, der den Patienten dann zugute kommt. In allen Bereichen, so beispielsweise in der Onkologie, der Kardiologie oder der Neurologie wird intensiv geforscht. Außerdem engagieren wir uns für die nachhaltige Entwicklung des Nachwuchses. Wir tragen Verantwortung über unsere Generation hinweg und bilden die Ärzte und Fachärzte von Morgen aus. Das ist eine großartige Aufgabenstellung und das alles leistet eine Universitätsmedizin zusätzlich zum direkten Kontakt mit den Patienten. Von daher haben wir eine andere Aufgabenstellung als normale Krankenhäuser der Grund-, Regel- oder Maximalversorgung. Zudem halten wir alle Fächer vor, über die gesamte Breite, wir haben immer rund um die Uhr Spezialisten aus allen Fachgebieten vor Ort. Die Universitätsmedizin Mainz ist ein

Geschenk für die Menschen, die hier leben.


Michael Bonewitz: Sie selbst sind Internistin und Ihr Forschungsschwerpunkt war die Gastrointestinale Onkologie. Ist das Zufall oder wollten Sie genau auf diesem Feld

forschen?

Es ist schon ein Stück Zufall. Ich war Postdoktorandin mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School in Boston. Dort wurde mein Interesse für diesen Forschungsbereich geweckt, ich war dort in der Tumorforschung tätig. Bei der gastrointestinalen Onkologie geht es um Tumore des Verdauungstraktes, unter anderem um Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Darmkrebs.


Michael Bonewitz: Wie kommt man denn auf so ein Thema?

Vor 30 Jahren waren die Möglichkeiten, Menschen mit solchen Tumoren zu helfen, noch sehr begrenzt. Wir wollten dazu beitragen, das zu ändern, und das kann man nur durch Forschung

erreichen. Während meiner Promotion habe ich den Nobelpreisträger Prof. Georges Köhler kennen gelernt und war von dessen Arbeit völlig fasziniert, was mich dann auch mitbewogen hat, nach der Promotion in die USA zu gehen.


Michael Bonewitz: Ist es nicht auch sehr belastend, mit Krebspatienten zusammen zu arbeiten? Ihre Arbeit ist ja nicht nur durch Erfolge geprägt, es sterben ja auch viele Patienten.

Ja und nein. Solche Momente der Hilflosigkeit können Sie in der ganzen Sparte der Medizin erleben.

Michael Bonewitz: Sie hätten ja auch Augenärztin werden können, da kommt die Auseinandersetzung mit dem Tod sicherlich seltener vor.

Zum einen habe ich solche Situationen nicht nur als Belastung wahrgenommen, sondern als Antrieb, Menschen zu helfen. Gerade auch durch die Forschung an Universitätskliniken haben wir hierzu die Möglichkeit. Natürlich werden wir fast täglich damit konfrontiert, dass das Leben endlich ist. Das eröffnet mir zugleich auch die Chance, über das Leben intensiver nachzudenken. Es berührt einen immer wieder, wenn ein Patient stirbt. Ich hoffe, dass mir das erhalten bleibt, das Bewusstsein, dass das Leben endlich ist. Diese Gewissheit schenkt einem sehr viel, zum Beispiel Freude über das Jetzt, auch Dankbarkeit.Michael Bonewitz: Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ja, ich bin Christin.

 

Dorél Dobocan: Ich habe auf der Kunstakademie studiert und wir haben im Studium in einer Kinderklinik Wände gestaltet und gestrichen. Und es war dabei sensationell zu sehen, was die Farbe für eine Wirkung auf die Psyche der Kinder hatte. Nun ist das einige Jahrzehnte her, aber auch heute noch beklagen viele Menschen die Kälte der Wände, der Eingänge, gerade in Krankenhäusern, obwohl man doch weiß, welche Wirkung sie mit Farbe erzielen können. Können Sie das nicht mal als Projekt initiieren?

Sie haben Recht, Raum schafft Atmosphäre. Und was Sie sagen, kann ich absolut nachvollziehen, auch wenn viele Materialien gerade in einem Krankenhaus aus Gründen der Hygiene oder des

Brandschutzes nicht funktionieren – aber es gibt sicherlich Möglichkeiten,

Räume und Kliniken fröhlicher zu gestalten ...

 

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